Wie soll eine Fehlerkultur in unserer Welt der Selbstdarstellung funktionieren?
Ein häufig bemühtes Merkmal von Firmenkulturen ist: “Wir haben eine Fehlerkultur!” Fail, learn, succeed! Eifrig haben wir dies aus der amerikanischen Kultur der Pioniere übernommen, wo Leitsätze wie “we cross the bridge when we get there…” gelten, und nicht immer kompatibel sind mit unserer Germanischen Gründlichkeit. In der Wissenschaft etablierte sich die Auseinandersetzung mit der Fehlerkultur in den USA. Aufgrund des dramatischen Reaktorunfalles in Three Mile Island am 7. Juli 1980, zu dem nach späteren Erkenntnissen, Gruppendruck und Konformität als fehlerbegünstigende Faktoren geführt hatten.
Wenn ich aber täglich lese, welche 5 Fehler ich mit sogenannten Life-Hacks ich immer schon beim Einpacken des Koffers vermeiden könnte, oder wie perfekt mein Nachbar auf Instagram daherkommt, frage ich mich, wie wir eine Fehlerkultur leben können. Werden wir nicht eher darauf getrimmt überhaupt keine Fehler zu machen, geschweige denn sie uns einzugestehen? Die amerikanische konservative Elite feiert Leitsätze wie “admit nothing; deny everything!” (Roger Stone, Stone’s Rules, Skyhorse Pub 2018), und schon mein Vater sagte “Das Dementi ist die erste Lektion in der Politik!”. Gut, über solche Vorbilder handelt dieser Blog ja auch nicht.
Also wenden wir uns dem eigentlichen Thema zu: was ist eine Fehlerkultur?
Nun können die Interpretationen einer Fehlerkultur durchaus sehr unterschiedlich sein. Laut Wikipedia ist eine konstruktive Fehlerkultur vom pädagogischen Standpunkt aus mit einem positiven Klima verbunden, in dem die Angst vorm Fehlermachen abgebaut wird und andererseits das Lernen aus Fehlern stattfindet. Im Qualitätsmanagement hingegen versteht man unter einer optimalen Fehlerkultur vor allem Fehlervermeidung. Innovationsmanager:innen wiederum betrachten Fehler nicht nur als unvermeidbare Begleiterscheinung bei Entwicklungsprozessen, sondern als Chance. Hier kennen wir etablierte Methoden wie “lean start-up“ oder SCRUM. Vertreter:innen der Lernenden Organisation sprechen von Fehleroffenheit und innovativem Lernen. Sie streben eine generelle Verbesserung der organisationalen Wissensbasis ebenso wie eine Stärkung der kollektiven Problemlösungs- und Handlungskompetenz an (KVP).
Fehler machen ist das eine, Fehler eingestehen und daraus lernen das andere. Es bedeutet “No Mr oder Mrs Perfect” und ist eine Herausforderung an vor allem das Management. Fehler einzugestehen, bedeutet Verletzlichkeit zu zeigen. Durch die Auseinandersetzung damit gewinnt man an Authentizität und teilt die gewonnen Erfahrungen, um einen Fehler nicht zweimal zu machen. All dies bringt als Kulturgut konsequent angewendet ein Unternehmen weiter.
Wann sind sie also das letzte Mal vor Ihrem Team gestanden und haben einen Fehler und das daraus entsprechende Learning offen geteilt? So ein internes “Fucked-up”-Seminar? Sehen sie dadurch Ihre Integrität gefährdet? Oder ist es die Chance Ihren Mitarbeiter:innen zu zeigen, dass Sie eine wahre Fehlerkultur haben und auch die Chefetage mal Mist baut? Daraus kann eine Kultur entstehen, aus der aufgrund von Fehlertoleranz und offen geteilten Erfahrungen mehr Vertrauen und unternehmerisches Denken wächst. Wenn Fehler in einem gewissen Rahmen toleriert sind, und learnings konsequent geteilt werden, werden alle Mitarbeiter:innen auch mehr Entscheide fällen und nicht nur auf das Management warten.
Zum Abschluss nochmals zur mich erheiternden Lektüre von sogenannten “Life-Hacks”. Letzthin gelesen: “Wespe im Auto – was tun?”. Das hoffentlich nicht ernst gemeinte learning eines Lesers… : “Aus dem Fenster springen!”.